18 Mai 2021

Mit tiefer Trauer geben wir bekannt, dass Jorge Canestri am vergangenen Freitag, den 7. Mai 2021, verstorben ist: ein schmerzlicher Verlust nicht nur für seine Familie, für seine Freunde und für unsere Italienische Psychoanalytische Vereinigung, sondern auch für die gesamte psychoanalytische Gemeinschaft.

Jorge Canestri wurde 1942 in Buenos Aires geboren, er machte seinen Abschluss als Arzt in Argentinien und emigrierte mit seiner Familie nach Italien, als sich die Situation in seinem Land gefährlich verschlechterte und zu einer der mörderischsten Diktaturen führte.

Seine psychoanalytische Ausbildung erfolgte in Buenos Aires und seine Analytikerin war M. Baranger. Danach wurde er Mitglied der APA (Argentinische Psychoanalytische Vereinigung) und Mitglied der IPA.

 

Aufgrund unserer gemeinsamen argentinischen Abstammung kontaktierte Jorge mich bei seiner Ankunft in Rom, wo ich seit 1974 lebte, und das war der Beginn nicht nur einer tiefen Freundschaft, sondern auch einer konstanten kreativen kulturellen Zusammenarbeit. Letztere nicht nur aus klinischer und wissenschaftlicher Sicht, die zusammen mit Simona Argentieri zur Veröffentlichung des Buches "Das Babel des Unbewussten" führte, welches in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Sie betraf auch die aktive und intensive Mitwirkung in der institutionellen Politik, die uns innerhalb unserer ursprünglichen Italienischen Psychoanalytischen Gesellschaft (SPI) mit komplexen institutionellen und ethischen Konflikten konfrontierte, bis die IPA die neue Italienische Psychoanalytische Vereinigung (A.I.Psi.) anerkannte, in der Jorge sehr aktiv war, sowohl als Präsident der A.I.Psi. als auch als Vorsitzender ihres Ausbildungskomitees und als einer der brillantesten Lehrer.

Während seine immense Kultur und psychoanalytische Kompetenz Jorges klinische Arbeit und seine institutionellen Aktivitäten in Italien sowie den Reichtum seiner Publikationen kennzeichneten, dehnten sich diese alle schnell über das italienische Panorama hinaus aus, und zwar innerhalb der europäischen sowie der internationalen psychoanalytischen Gemeinschaft. Sein ausgeprägtes institutionelles Talent und seine scharfe Sensibilität führten dazu, dass er Präsident der Europäischen Psychoanalytischen Föderation (2016-2020), Vorsitzender des Ethikkomitees der IPA, Präsident des IPA-Kongresses in Frankreich (Nizza, 2001), Mitglied des IPA-Komitees für konzeptuelle und empirische Forschung und Vorsitzender des IPA-Komitees für neue Gruppen wurde.  Im Jahr 2004 erhielt er den Sigourney Award.

Jorges Seminare faszinierten Kandidaten und Studenten, aber nicht nur das. Seine Vorträge und Präsentationen sowie seine Diskussionen der vorgestellten klinischen Fälle waren immer sehr tiefgründig, weise, reich an klinischem Wissen und oft sehr originell und kreativ. Eine seiner großen Fähigkeiten war sein Vermögen, breite und unterschiedliche kulturelle Perspektiven zu erreichen, aber immer innerhalb der Grenzen der psychoanalytischen Technik und der klinischen Theorie zu bleiben.

Aus kultureller Sicht war Jorge äußerst interessiert und kompetent in Erkenntnistheorie, Neurowissenschaften und Linguistik. Er lehrte auch Psychologie seelischer Gesundheit an der Universität Rom III.

Jorge war in viele internationale Veröffentlichungen und Konferenzen eingebunden: viele seiner Publikationen wurden in mehrere Sprachen übersetzt.

Jorge war auch im International Journal of Psychoanalysis als Mitglied und zuletzt als Präsident des European Editorial Board aktiv.

Seine Anwesenheit bei Tagungen, Konferenzen und Kongressen trug immer zur Bereicherung der Diskussionen bei.

Jorge wird schmerzlich vermisst werden, als Freund, als Kollege und als einer der brillantesten Psychoanalytiker, sowohl in Italien als auch im Ausland.

 

Jacqueline Amati Mehler

Im Namen der Italienischen Psychoanalytischen Vereinigung (A.I.Psi.)